Stellungnahme zur Novelle des Versammlungsgesetzes 2017

STELLUNGNAHME betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird (2063/A XXV. GP)

Vorbemerkung

Eine Novellierung des Versammlungsgesetzes ist nur innerhalb des verfassungsrechtlich determinierten Rahmens zulässig. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Normen, die einen solchen Rahmen vorgeben, sind: Art 12 Staatsgrundgesetz; Z 3 des 3. Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.10.1918, StGBl 1918/3; Art 11 EMRK; Art 12 Grundrechtecharta der EU (GRC).

Daraus ergibt sich, dass ein weitreichender Eingriff in die Versammlungsfreiheit nicht zulässig ist. Insb ist hierbei auf den Beschluss der provisorischen Nationalversammlung aus 1918 zu verweisen, der – mit Verfassungsrang ausgestattet – die volle Versammlungsfreiheit herstellt. Auch die EMRK und die GRC setzen einer in die Versammlungsfreiheit eingreifenden Novellierung des Versammlungsgesetzes enge Grenzen.

Wir hegen gegen den Gesetzesantrag im Lichte der Versammlungsfreiheit ernsthafte Bedenken, welche wir im Folgenden im Einzelnen darlegen:

§ 2 Abs 1 neu: Verlängerung der Anzeigefrist auf 48 Stunden

Die vorgeschlagene Bestimmung bedeutet eine Verlängerung der Anzeigefrist von Versammlungen. Damit wird sich die Anzahl sogenannter „Spontanversammlungen”, die aufgrund ihrer Kurzfristigkeit nicht mehr ordnungsgemäß angezeigt werden können, erhöhen. Auch diese können nur in den Grenzen des Art 11 Abs 2 EMRK aufgelöst werden (siehe zB VfSlg 14366/1995). Die vorgeschlagene Verlängerung der Anzeigefrist schafft also in erster Linie mehr Rechtsunsicherheit. Und zwar sowohl für Versammlungsteilnehmer_innen und -veranstalter_innen als auch für die Polizei.

Darüberhinaus begehen Veranstalter_innen von Spontanversammlungen ein Verwaltungsstrafdelikt (§ 19 VersG). Über die abschreckende Wirkung kommt es somit zu einer massiven Einschränkung der Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit kurzfristigen Ereignissen. Die Erläuterungen rechtfertigen die vorgeschlagene Bestimmung mit der besseren Vorbereitungsmöglichkeit der Polizei. Erstens ist aber nicht evident, wieso und inwiefern die bisherigen 24 Stunden dafür nicht ausreichen sollen: In den Erläuterungen wird dies nicht erklärt und somit die Notwendigkeit der Neuregelung nicht ausreichend begründet. Zweitens kann die Polizei eine angezeigte Versammlung natürlich auch jetzt schon untersagen, wenn die Versammlung eine Gefährdung iSd § 6 VersG iVm Art 11 Abs 2 EMRK darstellt, weil notwendige polizeiliche Vorkehrungen aufgrund der kurzfristigen Anzeige nicht mehr möglich sind. Der Effekt der vorgeschlagenen Novellierung ist daher keine bessere Vorbereitungsmöglichkeit der Polizei, sondern eine indirekte Einschränkung von Versammlungen, die auf Ereignisse reagieren, von denen man nur kurzfristig Kenntnis erlangt, wie z.B. eine Trauerkundgebung am Tag nach einem Terroranschlag, eine Demonstration gegen eine Abschiebung, ein unmittelbarer öffentlicher Protest gegen die Äußerungen von Politiker_innen usw. Und das obwohl von der Versammlungsfreiheit gerade auch solche spontanen (Protest-)Reaktionen geschützt sind.

Die Erläuterungen führen aus, dass so verhindert werde, dass „die Behörde mangels ausreichender Vorbereitungszeit Maßnahmen nicht setzen kann, die für einen sicheren Verlauf und damit für die Vermeidung einer Untersagung erforderlich sind.” Damit wird suggeriert, dass die Verlängerung der Anzeigefrist eigentlich dem Schutz der Versammlungsfreiheit dienen würde. Dies ist klarerweise unrichtig. Bereits jetzt ist es Versammlungsveranstalter_innen unbenommen, eine Versammlung vor der 24-Stunden-Frist anzuzeigen und durch eine frühe Anzeige das Risiko einer Untersagung zu verringern.

Schließlich sei noch erwähnt, dass auch eine gesetzliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wie zB die Verlängerung der Anzeigefrist, nur in den Schranken von Art 11 Abs 2 EMRK zulässig ist (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., 2016, S. 436; zur Verpflichtung, Spontanversammlungen zuzulassen siehe auch EGMR 17.10.2007, 25691/04, Bukta ua/Ungarn). Art 11 Abs 2 EMRK nennt als legitime Eingriffsziele die nationale und öffentliche Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung, Verbrechensverhütung, Gesundheitsschutz und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Verlängerung wird nun aber mit dem Bedarf an „Maßnahmen im eigenen Bereich” begründet. Der medialen Berichterstattung war zu entnehmen, dass hinter der Verlängerung der Anzeigefrist der Wunsch der Polizeigewerkschaft nach längeren Vorbereitungszeiten gestanden ist (so der BMI im O-Ton im Video von derstandard.at vom 21.3.2017). Organisatorische interne Maßnahmen der Behörde stellen aber gerade kein valides Eingriffsziel iSd Art 11 Abs 2 EMRK dar.

§ 2 Abs 1a neu: besondere Anzeigepflicht

§ 2 Abs 1a neu soll eine besondere Anzeigeobliegenheit schaffen: Die „beabsichtigte Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte“ ist spätestens eine Woche vor einer Versammlung anzuzeigen. In Bezug auf die Verlängerung der Anzeigepflicht als Einschränkung gilt auch alles oben zu § 2 Abs 1 gesagte. Auch diese Bestimmung stellt einen gesetzlichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar, der nach Art 11 Abs 2 EMRK gerechtfertigt werden muss, ebenso wie eine behördliche Untersagung aufgrund einer Nichteinhaltung von § 2 Abs 1a nach Art 11 Abs 2 EMRK gerechtfertigt sein wird müssen.

Der geplante § 2 Abs 1a entbehrt einer sachlichen Rechtfertigung. In den Erläuterungen ist die Rede davon, dass diese Bestimmung der Erfüllung von völkerrechtlichen Schutzpflichten diene. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist die neue Regelung weder notwendig, noch zur Zielerreichung geeignet, noch angemessen.

Der in den Erläuterungen angegebene Zweck (die Erfüllung von Schutzpflichten) wird durch diese Bestimmung nicht erreicht. Es ist z.B. möglich, dass Vertreter_innen ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen die Veranstalter_innen einer Versammlung nicht vorab über ihre „beabsichtigte” Teilnahme informieren oder erst wenige Stunden vor der Versammlung über ihre Teilnahme entscheiden. In beiden Fällen sind die Veranstalter_innen einer Versammlung gar nicht in der Lage, vorab eine entsprechende Information an die Behörde zu übermitteln. In diesen Fällen erfährt die Behörde auch nach neuer Rechtslage nicht von einer Teilnahme. Die Neuregelung führt daher im Ergebnis nicht zu einer besseren Erfüllung allfälliger Schutzpflichten.

Nach dem Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschliesslich Diplomaten (BGBl 1977/488 idgF) ist Österreich verpflichtet, bestimmte Personen (u.a. Regierungschef_innen, Vertreter_innen eines Staaates und Beamt_innenen von zwischenstaatlichen Organisationen) vor Straftaten zu schützen. Gem Art 4 lit b sind alle Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die dafür notwendigen Informationen auszutauschen. Die Staaten sind also schon jetzt verpflichtet, die österreichischen Behörden in angemessener Frist über einen Besuch ihrer Vertreter_innen und deren Vorhaben in Kenntnis zu setzen, wenn sich daraus eine Gefährdung ergeben könnte. Die Schaffung einer Bestimmung im Versammlungsgesetz ist daher nicht notwendig.

Weiters ist die Neuregelung nicht angemessen, da die Folgen einer unterbliebenen Anzeige die Veranstalter_innen der Versammlung treffen, obwohl sie die Teilnahme von Vertreter_innen ausländischer Staaten und internationaler Organisationen nicht kontrollieren können und sie nicht einmal über eine solche beabsichtigte Teilnahme informiert sein müssen. Im Fall, dass eine Versammlung nur gem § 2 Abs 1 angezeigt wird (also nicht schon eine Woche vorher) und dann wider Erwarten doch Vertreter_innen ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen teilnehmen, gilt die Versammlung aus Perspektive der Versammlungspolizei zunächst als nicht ordnungsgemäß angezeigte Versammlung. Das bedeutet, dass sie erleichtert aufgelöst werden kann und über die Veranstalter_innen unter Umständen eine Verwaltungsstrafe verhängt wird. Da also die Konsequenzen (Verwaltungsstrafe, Untersagung bzw Auflösung der Versammlung) von Personen getragen werden, die über die genauen Umstände keine Kontrolle haben, ist § 2 Abs 1a neu unverhältnismäßig.

Insgesamt zeigt sich also, dass das Versammlungsgesetz nicht der geeignete Ort ist, um die Erfüllung der völkerrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Vertreter_innen ausländischer Staaten zu gewährleisten. Die Bestimmung scheint vielmehr rein symbolischen Gehalt zu haben. § 2 Abs 1a neu stellt daher einen ungerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar.

§ 2 Abs 1a neu schafft im Übrigen auch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Versammlungen unterschiedlichen Inhalts: De facto schafft die vorgeschlagene Bestimmung für Versammlungen, die Themen berühren, die potentiell auch für Vertreter_innen ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen (dazu zählt z.B. auch der UNHCR) von Interesse sind, ein erhöhtes Risiko, aufgelöst zu werden bzw Verwaltungsstrafen nach sich zu ziehen. Dies ist gleichheitsrechtlich bedenklich. Dieser geringere Schutz betrifft beispielsweise auch Versammlungen zum Thema Asylrecht (an der eine Teilnahme einer UNHCR-Vertreterin durchaus möglich ist) oder zu Fragen der globalen Gerechtigkeit. Eine Ungleichbehandlung von solchen Versammlungen gegenüber Versammlungen zu sonstigen Themen ist sachlich nicht gerechtfertigt. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass das Politische in einer verstärkt globalen Ordnung eben nicht (mehr) auf nationale Belange beschränkt ist, sondern die drängenden politischen Fragen gerade grenzüberschreitende Verhältnisse, wie z.B. Arbeitsbedingungen in international agierenden Konzernen, Migrationsbewegungen, Klimawandel etc betreffen.

§ 6 Abs 2 neu: besondere Untersagungsmöglichkeit

Der vorgeschlagene § 6 Abs 2 ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Untersagung von Versammlungen, die „der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen”. Nämlich dann, wenn eine solche Versammlung „den außenpolitischen Interessen, anerkannten Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft”. Damit werden die Gründe, aus denen eine Versammlung untersagt werden kann (bisher: strafgesetzwidriger Zweck, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohls, vgl § 6 VersG), unter Verwendung unbestimmter Begriffe maßgeblich erweitert.

Sollte unter einer Versammlung, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen „dient“ (zur Unbestimmtheit des Begriffs siehe unten), auch eine solche zu verstehen sein, die lediglich inhaltliche Belange von Drittstaatsangehörigen zum Inhalt hat, so ist es übrigens sogar möglich, dass an einer solchen Versammlung ausschließlich österreichische Staatsangehörige teilnehmen. Daran anschließend ergäben sich massive Bedenken hinsichtlich der Gleichheitskonformität der neuen Regelung.

Keine Rechtfertigung durch Art 16 EMRK

Die Erläuterungen zum Entwurf beziehen sich auf Art 16 EMRK, der es in engen Grenzen erlaubt, die Versammlungsfreiheit von Ausländer_innen einzuschränken. Bemerkenswerterweise beziehen sich die Erläuterungen dabei lediglich auf Schrifttum zu Art 16 EMRK, nicht jedoch auf die erst kürzlich ergangene EGMR-Rechtsprechung.

Es gibt eine einzige Entscheidung, in der sich der EGMR mit der Anwendbarkeit von Art 16 EMRK auf Drittstaatsangehörige auseinandergesetzt hat (EGMR (GK) 15.10.2015, 27510/08, Perinçek/Schweiz, Rz 118-123). Darin verweist der EGMR darauf, dass er Eingriffe in die politischen Grundrechte von Ausländer_innen bisher immer entlang der allgemeinen Gesetzesvorbehalte geprüft und Art 16 EMRK nie herangezogen hat. Er betont, dass Art 16 restriktiv auszulegen ist und nur auf solche Aktivitäten von Drittstaatsangehörigen anwendbar ist, die direkt den politischen Prozess beeinflussen („directly affect the political process“). Damit ist wohl Einflussnahme auf innerstaatliche Verfahren politischer Entscheidungsfindung (Wahlen, Abstimmungen usw.) gemeint, also u.a. gerade nicht jene politischen Aktivitäten, die sich auf außenpolitische Belange beziehen. Außerdem muss es um „direkte“ Einflussnahme gehen. Eine bloß allgemeine politische Zielsetzung der Aktivität von Drittstaatsangehörigen (zB Stellung zu politischen Vorgängen zu beziehen oder die öffentliche Meinung zu beeinflussen) ist also wohl nicht ausreichend. Art 16 EMRK ist daher keine taugliche Rechtfertigung, um die politische Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen pauschal zu beschränken.

Außerdem wird durch Untersagung einer „Versammlung, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient“, entgegen den Feststellungen in den Erläuterungen auch in die Versammlungsfreiheit von Staatsbürger_innen eingegriffen. Veranstalter_innen von Versammlungen dürfen nur Staatsbürger_innen sein (§ 8 VersG), weshalb durch eine Untersagung immer in Grundrechte von Staatsbürger_innen eingegriffen wird. Auch eine Untersagung und Auflösung (gem § 13 Abs 1 VersG) einer bereits stattfindenden Versammlung, an der sich (auch) Drittstaatsangehörige politisch betätigen, greift regelmäßig in Grundrechte von Staatsbürger_innen ein. Denn in den seltensten Fällen sind es ausschließlich Drittstaatsangehörige, die an solchen Versammlungen teilnehmen. Der Grundrechtseingriff gegenüber Staatsbürger_innen (und ihnen gleichgestellten Unionsbürger_innen) kann aber von vornherein nicht über Art 16 EMRK gerechtfertigt werden, sondern muss den Eingriffsschranken gem Art 11 Abs 2 EMRK entsprechen.

Auch die vorgeschlagene Einschränkung in § 6 Abs 2 VersG muss also den Anforderungen von Art 11 Abs 2 EMRK entsprechen. Dies tut sie, wie im Folgenden dargelegt wird, nicht.

Keine Rechtfertigung durch Art 11 Abs 2 EMRK

Der vorgeschlagene § 6 Abs 2 VersG ermöglicht die Untersagung einer Versammlung, wenn diese „den außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft“.

Die vorgeschlagene Bestimmung stellt einen radikalen Bruch mit den bisherigen Grundsätzen des österreichischen Versammlungsrechts dar, das Eingriffe bisher nur aufgrund von Strafgesetzwidrigkeit, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Gefährdung des öffentlichen Wohles zulässt. Insbesondere zielt die vorgeschlagene Bestimmung auf eine Kontrolle des Inhaltes einer Versammlung ab. Bislang war dieser ausschließlich durch die Strafgesetze (z.B. Ehrdelikte, Verhetzung, Verstöße gegen das Verbotsgesetz…) beschränkt. Nun sollen z.B. keine Anliegen mehr geäußert werden können, die den außenpolitischen Interessen Österreichs zuwiderlaufen oder eine anti-demokratische Schlagseite haben.

Der Schutz „außenpolitischer Interessen“ ist nicht von Art 11 Abs 2 EMRK gedeckt, zumal in dieser allgemeinen Formulierung so gut wie alles darunter fallen kann, nämlich beispielsweise auch der Schutz von Handelsbeziehungen oder einen Staatsgast, der gerade zu Besuch ist, nicht verstimmen zu wollen.

§ 6 Abs 2 neu bedeutet außerdem, dass der Grad der Versammlungsfreiheit vom Verhalten anderer Staaten abhängig gemacht wird. Wenn ein Staatsoberhaupt beispielsweise damit droht, eine außenpolitisch bedeutsame Vereinbarung „platzen“ zu lassen, falls Österreich kritische Demonstrationen gegen besagtes Staatsoberhaupt zulässt, dann könnte eine solche Demonstration untersagt werden, weil sie „außenpolitischen Interessen zuwiderläuft“. Die Versammlungsfreiheit wird somit zum Spielball und zur Verhandlungsmasse internationaler Beziehungen. Und de facto wird so die politische Meinungsäußerungsfreiheit in Bezug auf ganze Politikfelder (Kritik an ausländischen Konzernen, Kritik an der Außenpolitik Österreichs, Kritik an Entwicklungen in anderen Staaten…) abgeschafft. Und zwar, wie oben ausgeführt, für Drittstaatsangehörige wie Staatsangehörige gleichermaßen. Genau dies hat der Verfassungsgerichtshof in der Vergangenheit aber bereits als unzulässig festgestellt: „Zu einer so weit gehenden Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit ermächtigt aber § 6 VersG in der durch Art 11 Abs 2 EMRK gebotenen verfassungskonformen Interpretation nicht. Er gestattet die Untersagung einer Versammlung u.a., soweit Grund zur Besorgnis besteht, daß die angemeldete Versammlung Ausgangspunkt von Aktivitäten sein würde, die gegen die körperliche Sicherheit des Staatsgastes und seiner Begleitung gerichtet sein würden, nicht aber rechtfertigt die Befürchtung, daß dem Staatsgast demonstrativ Meinungen zur Kenntnis gebracht würden, die die Politik seines Landes mißbilligen und ablehnen, eine Untersagung.” (VfSlg 15170/1998)

Ironischerweise verstößt eine Regelung, die die politische Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen einschränkt, außerdem selbst gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, wie zB die in Art 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder Art 21 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte festgeschriebene Versammlungsfreiheit auch für Ausländer_innen.

Auch die Untersagungsmöglichkeit, falls eine Versammlung den „demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft“, entspricht nicht Art 11 Abs 2 EMRK. Da strafgesetzwidrige Handlungen (zB Ehrverletzungen, Verhetzungen, Verstöße gegen das Verbotsgesetz) schon nach geltender Rechtslage zu einer Untersagung einer Versammlung führen, ist der Schluss zu ziehen, dass der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Bestimmung weiter sein und auch „sonstige“ demokratiefeindliche Meinungen erfassen soll. Nach den Erläuterungen soll auch iSd Art 17 EMRK darauf abgestellt werden, ob eine Versammlung auf die Abschaffung der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten abziele. In seiner Formulierung geht der vorgeschlagene § 6 VersG aber viel weiter als Art 17 EMRK. Während es in § 6 VersG neu heißen soll „den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich „zuwiderläuft“, betrifft Art 17 EMRK Tätigkeiten , die „auf die Abschaffung“ der Grundrechte „hinzielen“.

Dass der neue § 6 Abs 2 VersG letztlich weit über Art 17 EMRK hinaus geht, wird auch aus den Erläuterungen deutlich, die den Missbrauch der Grundrechte zu totalitären Zwecken iSd Art 17 EMRK nur als einen Unterfall nennen. Es gehe nämlich ganz allgemein um „Grundintentionen (…), die (…) mit den in der EMRK grundgelegten Menschenrechten (s. etwa Art. 14 EMRK) nicht vereinbar sind.“ Als Beispiel wird also Art 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) genannt. Das bedeutet: Jede politische Versammlung, an der sich (auch) Drittstaatsangehörige beteiligen, kann unter anderem dann untersagt werden, wenn diese Versammlung Kritik übt, die als diskriminierend oder nicht-liberal eingestuft werden kann. Das mögen oft tatsächlich keine „sympathischen“ Meinungen sein, die im Rahmen solcher Versammlungen geäußert werden – aber die Meinungs- und Versammlungsfreiheit schützt eben gerade auch solche Meinungsäußerungen, die verstörend oder schockierend sind. Die Grenze zieht das Strafrecht, ua mit dem Verhetzungstatbestand, der besonders krass diskriminierende Äußerungen verbietet. Eine darüber hinausgehende Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wie sie die vorgeschlagene Bestimmung intendiert, ist unverhältnismäßig im Sinne des Art 11 Abs 2 EMRK.

Im Übrigen können auch Versammlungen, die nicht der politischen Aktivität von Drittstaatsangehörigen dienen, unter Umständen „den außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich“ zuwiderlaufen. Offenbar geht es also bei § 6 Abs 2 neu im Kern gar nicht um den Schutz der genannten Interessen, Verpflichtungen und Werten. Sondern es geht schlichtweg um die Sanktionierung von Versammlungen, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen „dienen“. Ein sachlicher Grund, warum solche Versammlungen (wenn Staatsangehörige gemeinsam mit Drittstaatsangehörigen protestieren oder wenn es um Anliegen von Drittstaatsangehörigen geht) weniger Versammlungsfreiheit genießen sollen, ist nicht ersichtlich.

Unbestimmte Begriffe und weitgehende Einschränkung

Die Untersagungsmöglichkeiten im vorgeschlagenen § 6 Abs 2 VersG sind denkbar weit gehalten und unbestimmt formuliert. Dies widerspricht dem Erfordernis der „Vorhersehbarkeit“ von Eingriffen in die Versammlungsfreiheit, wie sie der EGMR fordert (vgl zB EGMR 8.5.2010, 37083/03, Tebieti Mühafize Cemiyyeti und Israfilov/Aserbaidschan, Rz 56-65). Die vorgeschlagene Bestimmung verletzt außerdem aufgrund ihrer Unbestimmtheit, die der Behördenwillkür Tür und Tor öffnet, auch das Legalitätsprinzip gem Art 18 B-VG.

Insb ist vor dem Hintergrund, dass selbst laut Erläuterungen „Anhaltspunkte von den Konventionsorganen für die Auslegung“ von Art 16 EMRK „fehlen“, überhaupt nicht klar, was sich hinter dem Begriff „politische Tätigkeit“, den der vorgeschlagene § 6 Abs 2 VersG verwendet, verbirgt (die in den Erläuterungen genannten Beispiele „Gründung von politischen Parteien“, „Teilnahme an Wahlen“ beziehen sich nicht auf das Versammlungsrecht). Darüber hinaus ist nicht klar, wann eine Versammlung einer politischen Tätigkeit „dient“. Ist damit die Teilnahme von Drittstaatsangehörigen angesprochen und/oder Versammlungsinhalte, die (auch) für Drittstaatsangehörige von Belang sind? Was ist mit Versammlungen, die sich für die politische Teilhabe von Drittstaatsangehörigen in Österreich einsetzen und zB für deren Wahlrecht eintreten? Könnten diese untersagt werden, weil sie den demokratischen Grundwerten Österreichs zuwiderlaufen?

Sollte damit gemeint sein, dass jede politische Tätigkeit darunter fällt, die Drittstaaten betrifft, so würde dies auf ein verkürztes Verständnis von Politik hindeuten. In einer globalisierten Welt lassen  sich politische Interessen und Tätigkeiten mitunter nicht in Nationalstaaten trennen, da Vorgänge in einem Land Auswirkungen auf die ganze Welt haben können. Und auch ohne Auswirkungen auf Österreich zu haben, kann es im politischen Interesse hier lebender Menschen liegen, auf Unrecht in anderen Ländern Einfluss zu nehmen.

Offenbar soll sozusagen experimentell getestet werden, wie die Rechtsanwendung mit den vielen unbestimmten Begriffen in der Praxis umgehen wird. Ein solches Vorgehen verkehrt allerdings das Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung. Vielmehr müsste der Gesetzgeber selbst hinreichend konkretisieren, was er unter den hier verwendeten Begriffen versteht.

Überdies sieht § 6 Abs 2 neu vor, dass eine solche Versammlung untersagt werden kann. Eine Versammlung nach § 6 Abs 1 ist hingegen zu untersagen. An keiner Stelle des Entwurfs wird ein Maßstab für das Ermessen der Versammlungsbehörde zur Frage der Untersagung festgelegt.

§ 7a neu: Schutzbereich

Nach dieser Regelung soll im Schutzbereich von 50 bis 150 m um eine Versammlung herum, keine andere Versammlung stattfinden dürfen. Eine solche Einschränkung muss, damit sie zulässig ist, in Art 11 Abs 2 EMRK Deckung finden. Ob die örtliche Einschränkung einer Versammlung aber notwendig ist, muss weiterhin im Einzelfall abgewogen werden. Nicht zwischen allen Versammlungen ist es notwendig, einen Mindestabstand von 50 m einzuhalten, eine Verbotszone daher unverhältnismäßig. Einerseits müssen gleichzeitig stattfindende Versammlungen nicht „gegnerisch” sein. Manchmal werden zum gleichen oder ähnlichen Zweck verschiedene Versammlungen angezeigt, die dann verschiedene Strecken und Treffpunkte haben, siehe z.B. den 1. Mai o.ä. Es wäre wenig sinnvoll, zwischen ähnlichen Versammlungen 50 m Abstand zu verlangen. Doch auch nicht alle Versammlungen mit entgegengesetzten Anliegen brauchen 50 m Abstand. Häufig stehen zwei Versammlungen in einem Abstand von weniger als 50 m zueinander ohne, dass es zu Beeinträchtigungen in der Grundrechtsausübung der Versammlungsteilnehmer_innen käme. So z.B. bei den regelmäßigen Doppel-Versammlungen auf der Uni-Rampe in Wien, von Burschenschaftern und deren Gegner_innen. Ein Mindest-„Schutzbereich“ ist daher nicht notwendig. Überdies bietet das geltende Recht ausreichend Möglichkeiten, gesetzwidrige Vorgänge in einer oder um eine Versammlung hintanzuhalten. Diese reichen von der Auflösung einer Versammlung bis zu den Straftatbeständen von §§ 284, 285 StGB. Eine solche erzwungene Verbotszone von mindestens 50 m im Umkreis der Versammelten ist daher in ihrer Allgemeinheit und Undifferenziertheit weder notwendig noch verfassungsrechtlich abgesichert. Der in jedem Fall geltende Schutzbereich von 50 m ist unverhältnismäßig, da er der Behörde keine Abwägung im Einzelfall ermöglicht.

Darüber hinaus ist auch aus dem Blickwinkel des Legalitätsprinzips fraglich, wo der Schutzbereich einer Versammlung endet. § 7a Abs 2 spricht vom „Umkreis um die Versammelten“, Abs 3 vom „Umkreis der Versammelten“. Je nachdem, ob der Mittelpunkt des Kreises in der Mitte der Versammlung angenommen wird, oder ob der 50m Mindestabstand, wie er in Abs 3 der vorgeschlagenen Fassung vorgesehen ist, vom Außenrand der Versammlung aus gezählt wird, können sich faktisch große Unterschiede für die Zulässigkeit einer weiteren stattfindenden Versammlung ergeben. Dadurch wird es für die Normunterworfenen schwierig festzustellen, an welchem Ort sie sich noch ungestört versammeln können und an welchem Ort dies eine Verwaltungsübertretung darstellt. Dies gilt umso mehr, als Abs 2 und 3 des Entwurfes keine Veröffentlichungspflicht des festgelegten Schutzbereiches vorsehen. Aus dem Entwurf geht auch nicht hervor, welche Versammlung den Schutzbereich der jeweils anderen verletzt, wenn sich Versammlungen aufeinander zubewegen.

§ 20 neu: Betrauung mit der Vollziehung

Während in § 16 Abs 2 neu geregelt wird, dass die Bundesregierung in den Fällen des § 6 Abs 2 neu für eine etwaige Untersagung zuständig ist,  wenn die beabsichtigte Teilnahme von Vertreter_innen ausländerischer Staaten und von Vertretern internationaler Organisationen oder anderer Völkerrechtssubjekte angezeigt wurde (vgl § 2 ABs 1a), ist in § 20 von einer Zuständigkeit der Bundesregierung in allen Fällen der §§ 6 ABs 2 iVm 16 Abs 2 die Rede. Unklar ist also, wie weit diese Zuständigkeit tatsächlich reichen soll.

Wenn Teile des Vollzugs des Versammlungswesens auf die Bundesregierung übertragen werden, so sei darauf hingewiesen, dass diese als Kollegialorgan mit Einstimmigkeitsprinzip ausgestattet ist und im Regelfall nur einmal wöchentlich zusammentritt. Es erscheint daher mehr als fraglich, ob die Bundesregierung dazu in der Lage ist, den Regelvollzug des Versammlungswesens organisatorisch zu übernehmen.

Zusammenfassung

Wir lehnen die vorgeschlagene Novellierung des Versammlungsgesetzes zu Gänze ab. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch diese Novelle ist aus unserer Sicht nicht notwendig und geht zT über die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen, insb über die durch Art 11 Abs 2 EMRK gesetzten Schranken hinaus.

Gleichzeitig bedauern wir, dass der Gesetzgeber sich nicht dazu durchgerungen hat, § 8 Versammlungsgesetz ersatzlos zu beheben. Damit wird allen Nicht-Österreicher_innen die Ausübung ihres Rechtes auf Versammlungsfreieheit erheblich erschwert. Spätestens seit Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist diese Bestimmung aufgrund des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung von Unionsbürger_innen als verfassungswidrig einzustufen. Wobei es gewichtige Stimmen gibt, die diese Bestimmung schon seit dem Beitritt zur EMRK als verfassungswidrig erachten (vgl Berka, Die Grundrechte (1999) Rz 621).

Parlamentarische Stellungnahme zur Einführung des Straftatbestandes „Staatsfeindliche Bewegungen“

STELLUNGNAHME zum Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird (Strafgesetznovelle 2017) (294/ME XXV.GP)

Die Strafbestimmung des § 246a StGB („Staatsfeindliche Bewegungen“) wird von uns abgelehnt. Wir gehen im Folgenden auf drei Punkte ein:
1. Die Gesinnung als Tatbestandsmerkmal
2. Das Tatbestandsmerkmal der Verhinderung der Gesetzesvollziehung
3. Die Verhältnismäßigkeit der Strafbestimmung

1. Gesinnungsstrafrecht als Verletzung der Meinungsfreiheit

§ 246a StGB stellt in Zusammenschau mit den Materialien einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung gem Art 13 StGG und Art 10 EMRK dar, welche im Verfassungsrang stehen. Bestimmungen, deren Vereinbarkeit mit der Verfassung, insbesondere mit Grundrechten zweifelhaft sein könnten, sind jedoch in den Erläuterungen im Einzelnen zu begründen (siehe auch Legistische Richtlinien 1979, BKA, S. 2). Wie bereits der EGMR mehrfach ausgesprochen hat (vgl Handyside, 07.12.1976, 5493/72; Barthold, 25.03.1985, 8734/79; Lingens, 08.07.1986, 9815/82) muss, angesichts der besonderen Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft, die Notwendigkeit der mit einer Bestrafung verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung – gemessen an der Entscheidung des Gesetzgebers – unter Bedachtnahme auf das in Rede stehende Grundrecht im Einzelfall außer Zweifel stehen. Diesem Erfordernis wurde bei der Schaffung des § 246a StGB nicht Rechnung getragen. Insbesondere die beiden folgenden Stellen in den Erläuterungen sind in Bezug auf die Meinungsfreiheit besorgniserregend:
„Eine Bewegung gründet derjenige, der staatsfeindliche Gedankenkonstrukte erfindet oder solche Theorien aufstellt und diese anschließend anderen zugänglich macht.“ (294/ME, XXV. GP, Erläuterungen, S. 5)

Und „Es reicht [für die strafbare Teilnahme,] wenn eine Person sich auf die Theorien dieser Bewegung beruft, bzw. die nach außen vertritt.“ (Ebd.)

Der Justizminister behauptet zwar, einen Gesinnungstatbestand nicht intendiert zu haben, tatsächlich kann aber der Straftatbestand des § 246a StGB auf verschiedene Weise durch eine bloße Meinungsäußerung erfüllt werden. Bereits das Aufstellen und Zugänglichmachen einer staatsfeindlichen Theorie soll in Verbindung mit der Absichtsäußerung, Vollzugsakte verhindern zu wollen, strafbar werden. Die Teilnahme an einer solchen Bewegung durch die Äußerung, sich zu dieser zu bekennen, soll mit § 246a Abs. 2 StGB ebenfalls strafbar werden. Auch das in den Erläuterungen genannte „Richten von Eingaben an Behörden“, oder das Verwenden von „erfundenen“ Ausweisen oder Kennzeichen, wird in der Regel vom Recht auf Meinungsfreiheit umfasst sein. Die Erläuterungen zeigen klar, dass es hier im Kern darum geht, bereits Absichtserklärungen und das Bekenntnis zu bestimmten Theorien strafbar zu machen.

Nach dem Wortlaut der Bestimmung in der passiven Form „wenn sich diese Ausrichtung […] manifestiert hat“ und der Zusammenschau mit den Erläuterungen ist zudem nicht eindeutig, wann sich eine Person nach Abs. 1 strafbar macht. Sie muss jedenfalls die Bewegung gründen oder führen, also z.B. eine Theorie aufstellen, auf die sich eine derartige Bewegung später stützt. Muss die gleiche Person aber auch die spezielle Ausrichtung der Bewegung – nämlich auf gesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen zu verhindern – gegenüber der Behörde „manifestieren“, oder könnte die Person, die die Bewegung gegründet hat, auch strafbar werden, wenn sich diese Ausrichtung durch eine andere Person nach außen „manifestiert hat“?

Überdies bleibt, in Anbetracht der gewählten Formulierung „die Hoheitsrechte […] nicht anzuerkennen“ offen, um welchen Grad der Intensität der Ablehnung es sich dabei handeln muss. Klar ist aufgrund der gewählten Formulierung nur, dass die Ablehnung eines einzelnen Hoheitsrechts allein zur Erfüllung des Tatbestandes nicht ausreicht. Wo jedoch die Grenze zu ziehen ist, bleibt uneindeutig.

Problematisch könnte das z.B. für viele zivilgesellschaftliche Akteur_innen sein, die ihre Kritik öffentlich formulieren, an staatliche Organe adressieren und im Zuge ihres öffentlichen Auftretens Gesetzwidrigkeiten in Bezug auf Vollzugsorgane bewusst einkalkulieren. Eine Demokratie muss es erlauben und ermöglichen auch grundlegende Kritik zu üben. Eine solche Kritik formulieren beispielsweise auch StaatstheoretikerInnen und DenkerInnen, die radikale Staatskritik üben, oder politische Strömungen, die grundlegend systemkritische Positionen vertreten. Sei es das Hinterfragen von Nationalstaaten in einer zunehmend globalisierten Welt und damit einhergehend, eine Kritik an hoheitlich durchgesetzten Grenzregimen, sei es eine Kritik an dem System der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, sei es, dass diese zu viel der Demokratie sei (wie MonarchistInnen meinen würden) oder zu wenig (wie z.B. AnhängerInnen direkt- oder radikaldemokratischer Ideen fänden). All dies sind Ideen, die eine parlamentarische Demokratie im Extremfall auf eine Probe stellen, die sie aber aushalten und zulassen muss. Nicht das Strafrecht ist der Ort, diese Auseinandersetzungen zu führen, sondern die politische Debatte.

2. Die gesetzwidrige Verhinderung der Gesetzesvollziehung

Eine weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 246a StGB soll sein, dass es der Zweck einer Bewegung – wenn auch nicht der ausschließliche – ist, auf gesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen oder sonstigen Entscheidungen der Behörde zu verhindern. Darunter fällt nach diesem Wortlaut u.a. auch das Nichteinhalten von Verwaltungsnormen (wie die StVO, Gebühren- und Abgabengesetze, die Bauordnung, und viele mehr) und sogar das Nichteinhalten von Regeln, auf welches bislang überhaupt keine Strafe stand (arg „gesetzwidrig“).

Das Abstellen auch auf Verwaltungsrecht stellt einen Bruch zu anderen Organisationsdelikten dar, da sich die schon bestehenden auf gerichtliche strafbare Handlungen beziehen und diese in viele Fällen auch noch einmal konkretisieren (wie z.B. im § 278 StGB oder § 287b StGB).

Früher gab es eine vergleichbare Bestimmung, die Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze – und zwar alle, auch Verwaltungsgesetze – war nach § 281 StGB strafbar. Mit der Strafrechtsnovelle 2015 wurde diese Bestimmung aber „vor dem Hintergrund des heutigen Demokratiebewusstseins“ (689 Blg. XXV.GP, S. 40) aufgehoben. Anscheinend ist das Demokratiebewusstsein, das damals zur Aufhebung des Paragraphen führte, schon zwei Jahre später in Vergessenheit geraten.

Es ist unverständlich, warum es notwendig sein soll, die bloß gesetzwidrige Verhinderung von Gesetzesvollziehung in Kombination mit einer bestimmten Gesinnung für strafwürdig zu erklären.

3. Verhältnismäßigkeit

Das Strafrecht ist das schärfste Mittel, unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren und sollte in einer Demokratie eine ultima ratio darstellen. Gefängnisstrafen sind nicht notwendig, um sich gegen etwas zu wehren, was schlichtweg unangenehm, eine Störung oder nervtötend, aber nicht ernsthaft gefährlich ist. Da § 246a weder eine Voraussetzung der Gefährlichkeit noch eines bestimmten eingetretenen Schadens beinhaltet, wäre es möglich, Bagatelldelikte mit hohen Strafen zu belegen.

Exemplarisch möchte ich auf einen Fall aus den Erläuterungen verweisen, in denen die Rede davon ist, eine Person nach Abs. 2 zu bestrafen, wenn diese sich mit einem „erfundenen“ Ausweis auszuweisen versucht oder „Eingaben an Behörden richtet, welche auf dieser staatsfeindlichen Gesinnung beruht“ (294/ME, XXV. GP, Erläuterungen, S. 5). Es ist nicht rechtfertigbar und unverhältnismäßig, ein solches Verhalten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen zu sanktionieren. Weiters ist zu bedenken, dass jeder Straftatbestand nicht nur in vollendeter Form strafbar ist, sondern auch der Versuch, sowie die Beitrags- und Mittäterschaft, was zu einer noch weiteren Strafbarkeit führt.

Wir schließen uns daher dem Verein Neustart in seiner Stellungnahme 19/SN-294/ME XXV.GP an, dass dieser Tatbestand mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit kaum vereinbar ist, in das gem. Art. I Abs. 3 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit nur eingegriffen werden kann, wenn die Maßnahme notwendig ist. Eine Notwendigkeit der Androhung von Freiheitsstrafen besteht im Bagatellbereich nicht.

4. Abschließende Bemerkungen

– Wir teilen im Übrigen die Einschätzung des Justizministers Brandstetter nicht, dass der neue § 246a StGB mehr Hürden zu Strafbarkeit beinhalte als § 246 StGB (staatsfeindliche Verbindungen) (Ö1 Morgenjournal, v. 28.3.2017). § 246 StGB ist schon allein deswegen viel eingeschränkter anzuwenden, weil er auf Verbindungen abstellt, nicht auf die bloße „Bewegung“, und weil der Zweck dieser Verbindung viel enger gefasst ist, nämlich „die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern.“

– Außerdem folgen wir der Kritik, dass die tatbestandsmäßige Manifestation der Ausrichtung im vorliegenden Entwurf dem Wortlaut nach für die Behörde eindeutig sein muss, was kein objektives Merkmal darstellt und somit nicht im Einflussbereich der betroffenen Person liegt.

– Es ist zu bedenken, dass auch Sachverhalte, die zwar nach § 246a StGB nicht strafbar wären, aber einen gerechtfertigten Verdacht bei der Polizei hervorrufen, besonders eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen. So könnte bei einem Verdacht auf § 246a z.B. eine „systematische, über längere Zeit erfolgende“ verdeckte Ermittlung nach § 131 StPO erfolgen. Dies ist in Kombination mit der Bedeutung, die diese Strafbestimmung für zivilgesellschaftliche Aktivist_innen haben könnte, besorgniserregend.

– Der Tatbestand des § 246a ist auf eine Weise formuliert, dass er erst nach mehrmaligen Lesen in seiner Satzstruktur verständlich ist. Gerade das Strafrecht soll aber für Bürger_innen klar verständlich und vorhersehbar sein (vgl auch Legistische Richtlinien 1990, BKA, S. 7). Diesen Anforderungen entspricht der vorliegende § 246a StGB nicht.

Wir sprechen uns gegen den § 246a StGB in seiner Gesamtheit aus. Sollte der Tatbestand aber auch nach der Kritik im Begutachtungsverfahren eingeführt werden, könnte er durch die folgenden Tatbestandsmerkmale in die Richtung geschärft werden, in die er intendiert war:

– Das Nicht-Anerkennen der Gesamtheit der Hoheitsrechte der Republik Österreich, etc.
– Das Abstellen auf die Gefährlichkeit einer sogenannten Bewegung, sowie auch der Tathandlung der Teilnahme in Abs. 2
– Ein objektives Merkmal, das den „Eindruck auf die Behörde“ ersetzt
– Die Anknüpfung an eine strafgesetzwidrige Weise, die Vollziehung von Hoheitsakten zu verhindern
– Das Tatbestandsmerkmal der Wissentlichkeit in Abs. 2

Kommentar zur Regierungsvorlage zum neuen Staatsschutzgesetz (PStSG)

Der Entwurf, der am 1.7.2015 zur Regierungsvorlage des Staatsschutzgesetzes (PStSG) geworden ist, ist gegenüber dem vorhergehenden Ministerialentwurf in Einzelheiten entschärft, aber immer noch menschenrechtswidrig, undemokratisch und in seinen weitreichenden Befugnissen für geheime Polizeiermittlungen überschießend und gefährlich und damit als Ganzes abzulehnen.

Das Gesetz soll nach der Sommerpause im Parlament beschlossen werden. Um eine Grundlage für die Debatte über die Regierungsvorlage zu schaffen, möchten wir einige wichtige Änderungen, die das Ministerium nach einem ausgiebigen Begutachtungsverfahren nun vorgenommen hat, kommentieren.

– Die Demonstrationsdelikte Sprengung einer Versammlung (§ 284 StGB) und Störung einer Versammlung (§ 285 StGB) sind aus dem Aufgabenbereich des neuen Nachrichtendienstes herausgefallen, was jedenfalls zu begrüßen ist. Auch beim Landfriedensbruch wurde der Aufgabenbereich eingegrenzt; nun soll nur mehr die „führende Teilnahme“ in die Zuständigkeit des Staatsschutzes fallen (§ 274 Abs 2 StGB). Mit diesen Paragraphen wurden in den letzten Jahren zunehmend linke Proteste kriminalisiert, sei es gegen den Wiener Akademikerball, die rechtsextreme Gruppe der „Identitären“ oder auch gegen Abtreibungsgegner_innen.

– Der vorbeugende Schutz bei Angriffen durch Einzelpersonen wurde eingeschränkt. Wo es hieß, schon bei „wahrscheinlichen“ Angriffen, solle es Ermittlungsbefugnisse geben, soll dies jetzt nur mehr bei „begründetem Gefahrenverdacht“ möglich sein. Solange das Vorliegen eines solchen „begründeten Verdachts“ nur das Bundesamt selbst und neben diesem noch der (interne) Rechtsschutzbeauftragte beurteilen muss, ist damit nicht viel gewonnen. Zumindest müsste es möglich sein im Nachhinein (nach Einstellen, der geheimen Ermittlungen und nach der vorgesehenen Information der Betroffenen) festzustellen, ob der Verdacht gerechtfertigt war, was zumindest die Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Amtshandlung mittels Beschwerde möglich macht. Der Hinweis auf § 22 Abs 2 SPG lässt vermuten, dass dieser als zusätzliche Voraussetzung gedacht ist, d. h. dass auch eine Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorliegen muss, um Aufgaben nach dem PStSG auszulösen. Damit wäre der Aufgabenbereich noch weiter eingeschränkt, da nicht nur die in § 6 Abs 2 aufgezählten Delikte vorliegen müssten, sondern zusätzlich auch die Gefährdung eines dieser Rechtsgüter.

– Die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung gegenüber dem Rechtsschutzbeauftragten wurde auf die Identität von anonymen Zeug_innen nach § 162 StPO beschränkt. Nach Ministerialentwurf wäre eine allgemeine Auskunftsverweigerung unter Berufung auf die „nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen“ möglich gewesen. Dadurch wäre der Rechtsschutz völlig ausgehöhlt gewesen, allerdings ist jede Beschränkung der Auskunft gegenüber dem internen RSB wenig nachvollziehbar. Zwar mag diese Beschränkung im Bezug auf den Schutz der Zeug_innen sinnvoll erscheinen – insbesondere wurde wohl an die Sicherheit von verdeckten Ermittler_innen gedacht. Die neue Regelung ist aber im Bezug auf den Rechtsschutzbeauftragten insofern fragwürdig, als dass durch sie seine Kompetenz eingeschränkt wird, was gerade hinsichtlich der enormen faktischen Einschränkung individuellen Rechtsschutzes bei geheimen Ermittlungen zu kritisieren ist. Die Institution des Rechtsschutzbeauftragten wurde ohnehin schon von vielen Seiten dafür kritisiert, dass sie für einen wirksamen Rechtsschutz bei weitem nicht unabhängig genug und damit als Einrichtung ungeeignet für ihren Zweck ist.

Weitere Änderungen blieben trotz Unzulänglichkeiten im Entwurf aus, so bleibt etwa die Möglichkeit Ermächtigungen zu Ermittlungen auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Auch im neuen Entwurf steht in § 14 Abs 2 lediglich „Verlängerungen sind zulässig“ ohne zu sagen unter welchen Voraussetzungen und wie oft. Eine solche Regelung kommt einer unbegrenzten Aussprache von Ermächtigungen gleich und verstößt jedenfalls massiv gegen das rechtsstaatliche Prinzip und die Verhältnismäßigkeit.

Regierungsvorlage Polizeiliches Staatsschutzgesetz (PStSG) – Die wichtigsten Änderungen

Am 1.7. wurde im Minister_innenrat die Regierungsvorlage zum PStSG beschlossen, wir haben eine Übersicht über die Änderungen zum vorhergehenden Ministerialentwurf erstellt.

Die wichtigsten Änderungen

  •  Sprengung einer Versammlung (§284 StGB) und Störung einer Versammlung (§ 285 StGB) gelten doch nicht als verfassungsgefährdende Angriffe, lösen also keine Befugnisse nach dem PStSG aus. Auch beim Landfriedensbruch (§ 274 StGB) ist nur mehr die führende Teilnahme nach Abs 2 „verfassungsgefährdend“ und auch „nur“ dann, wenn sie religiös und weltanschaulich motiviert ist.
  • Der vorbeugende Schutz vor verfassungsgefährdender Angriffe durch Einzelpersonen wird etwas eingeschränkt, indem ein begründeter Gefahrenverdacht verlangt wird, anstelle der bloßen Wahrscheinlichkeit. Dabei wird auf § 22 (2) SPG verwiesen, wonach ein Angriff auf folgende Rechtsgüter wahrscheinlich sein muss: Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen und Umwelt.
  • Nach § 6 Abs 1 Z 3 kann sich die Anwendung von Befugnissen nach dem PStSG nun auch auf Informationen internationaler Sicherheitsorganisationen, EU und UN Organe stützen
  • Neu ist ein ausdrücklicher Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in § 9.
  • Die Aufzeichnung mit einer Körperkamera nach § 13a SPG ist dem Betroffenen anzukündigen.
  • Die Aufzeichnungen mit Körperkameras können nur zur Verfolgung von den strafbaren Handlungen benutzt werden, die sich während der Aufzeichnung ereignet haben.
  • Es ist nicht mehr möglich, dem Rechtsschutzbeauftragten wegen Gefährdung nationaler Sicherheit und Menschen die Auskunft zu verweigern, sondern nur nach § 162 StPO, der anonymen Zeug_innenaussage, wenn die Sicherheit von Zeug_innen bei Bekanntwerden ihrer persönlichen Daten gefährdet ist. Die gleiche Änderung ist auch im SPG (§ 91d) vorgesehen.
  • In Kraft Treten ein halbes Jahr später geplant (1. Juli 2016 statt 1. Jänner 2016).

Weitere Unterschiede

  • Der Rechtsschutzbeauftragte bekommt statt nur zwei „eine erforderliche Anzahl“ an Stellvertreter_innen.
  • Neu ist auch eine Berichtspflicht der Landesämter gegenüber dem Bundesamt.
  • Die Anforderungen an die_den Direktor_in des Bundesamtes werden reduziert: es genügt ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften und besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des polizeilichen Staatsschutzes, die vormals vorgesehene fünfjährige Berufserfahrung ist nicht mehr notwendig.
  • Bedienstete, die keine Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts sind, können nur dann mit Befehls- und Zwangsgewaltsbefugnissen ausgestattet werden, wenn sie leitende Funktionen haben.
  • Der Verfassungsschutz ist in der neuen Vorlage nicht mehr nur mit der Gebäudesicherheit der Zentralstellen des BMI, sondern aller vom BMI genutzten Gebäude betraut (§ 4 Z 4).
  • Nach § 10 Abs 1 dürfen sensible Daten nur ermittelt und weiterverarbeitet werden, wenn dies „unbedingt erforderlich“ ist.
  • Auch bei internetgestützten Ermittlungen nach § 10 Abs 5 sind Rasterfahndungen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen nach StPO ( § 141) möglich.
  • Die Daten, die von Beförderungsunternehmen herausgegeben werden müssen, sind detaillierter beschrieben: Datum der Buchung, Reiseverlauf, Reisestatus, Flugscheindaten, Zahl und Namen von Mitreisenden im Rahmen einer Buchung.
  • Unternehmen, von denen Auskunft verlangt wird, müssen von der Ermächtigung (durch den Rechtsschutzbeauftragten) unterrichtet werden, sowie über ihre Verpflichtungen zur Geheimhaltung und den Umfang der Auskunftspflichten informiert werden.
  • Übermittlungen von Daten nach § 12 sind nun auch an internationale Sicherheitsorganisationen (EU, UNO) möglich.
  • § 13 im alten Entwurf, betreffend die Vertrauenspersonenevidenz, entfällt, allerdings bezieht sich § 12 (7) des neuen Entwurfs auf die Vertrauenspersonenevidenz des SPG.
  • Bei Ansuchen um die Ermächtigung durch den Rechtsschutzbeauftragen zu Ermittlungsbefugnissen nach dem PStSG ist nun eine besondere Begründung notwendig, insbesondere beim Einsatz von Vertrauenspersonen. Weiterhin ist die Ermächtigung anscheinend unbegrenzt verlängerbar.
  • In Verfahren wegen Beschwerden von Betroffenen hat der Rechtsschutzbeauftragte Stellung als Amtspartei (§ 15 Abs 3).

SPG

  • Jeder Zugriff auf das durch Körperkameras gewonnene Material ist zu protokollieren. Auch die Verschlüsselung dieser Daten ist vorgesehen.
  • Das Material aus Bild- und Tonaufzeichnungen nach § 54 (5) darf nun auch bei Ermittlungen nach dem Verbotsgesetz, Abzeichen-Gesetz und Symbolegesetz (ISIS, Al-Qaida) verwendet werden.

Das neue Staatsschutzgesetz: Willkommen im Polizeistaat!

publiziert auf dem mosaik-blog: http://mosaik-blog.at/staatsschutzgesetz-polizeistaat-ueberwachung/

Das geplante Polizeiliche Staatssicherheitsgesetz soll vor „verfassungsgefährdenden Angriffen“ schützen, ironischerweise ist es selbst weitgehend verfassungswidrig. Angelika Adensamer und Maria Sagmeister haben für uns die wichtigsten Punkte zusammengefasst und geben eine Einschätzung zu den Auswirkungen.

Am 31. März 2015 ging der Gesetzesentwurf des Innenministeriums zum neuen Staatsschutzgesetz in Begutachtung. Tritt der Gesetzesentwurf tatsächlich in der jetzigen Form in Kraft, erhält die Polizei mit Jänner 2016 eine Reihe neuer Ermittlungsbefugnisse. Diese würden ihr erlauben, Methoden einzusetzen, die Rechte von Betroffenen grundlegend verletzen. Verdeckte Ermittler_innen, Vertrauenspersonen (ständigeR InformantIn, undercover; V-Leute), IMSI-Catcher (Geräte mit denen Handys geortet und auch abgehört werden können) und Körperkameras sind nur einige Beispiele aus dem umfassenden Maßnahmenkatalog. Dass damit diverse Grund- und Menschenrechte massiv verletzt werden, scheint unter Zuhilfenahme des fadenscheinigen Arguments der Bekämpfung organisierten Verbrechens bewusst in Kauf genommen zu werden. Schon seit einigen Jahren werden die Ermittlungs- und Datensammlungsbefugnisse der Polizei ständig erweitert, teilweise aufgrund Initiativen aus Österreich, teilweise aufgrund von Vorgaben der EU. 2011 war Österreich z. B. durch eine EU-Richtlinie verpflichtet, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, die jedoch letzten August vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wurde. Bis zur Aufhebung des Gesetzes mussten alle Handydaten über Verbindungen und Standorte von den Netzbetreibern sechs Monate gespeichert werden. Ein anderes Beispiel ist die „erweiterte Gefahrenerforschung“, also die Ermittlungen gegen Einzelpersonen ohne einen konkreten Tatverdacht zu haben, die 2012 eingeführt wurde und jetzt erweitert werden soll. Der Gedanke dahinter ist, dass mit mehr Information und Daten, Gewaltakte, Anschläge etc. schon im Vorfeld verhindert werden können. Dass es jedoch keinen Nachweis gibt, dass dies tatsächlich funktioniert, hält die Behörden nicht davon ab, immer weitere Befugnisse zu verlangen.
Was bringt das Gesetz Neues?

Darunter fallen zum Beispiel die „Verhinderung oder Störung einer Versammlung“, der „Missbrauch von Computerprogrammen oder Zugangsdaten“, aber auch „Herabwürdigung“ der österreichischen Fahne. Eindeutig politisch motiviert ist auch ein Dreh des Gesetzes, mit dem manche Straftaten nur bei weltanschaulicher oder religiöser Motivation als Verfassungsbedrohung verstanden werden. Diese Formulierung lässt nicht zufällig an anti-muslimische rassistische Diskurse denken, die den Islam mit Terror verknüpfen. Zudem wird es weiter erleichtert, politische Projekte zu kriminalisieren, da zum Beispiel §285 StGB, die sogenannte „Störung einer Versammlung“, unter das neue Gesetz fällt. Diese Strafbestimmung wurde im letzten Jahr bei den Protesten gegen die Pegida-Kundgebungen herangezogen. Schon eine friedliche Blockade oder nur lautes Trommeln können laut Polizei offenbar eine solche strafbare Störung einer Versammlung darstellen. Die Drohung mit dem Strafrecht ist in vielen Fällen überzogen und in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen schüchtert sie Aktivist_innen ein und behindert damit Protest, zum anderen kann sie, wie im vorliegenden Gesetzesentwurf, als Anknüpfungspunkt für weitere Verschärfungen dienen.

Eine weitere Neuerung liegt darin, dass nun auch gegen Einzelpersonen bei Verdacht auf einen „wahrscheinlichen verfassungsgefährdenden Angriff“ mit sämtlichen Befugnissen nach dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz ermittelt werden darf. Das heißt, es bedarf außer einer von der Polizei beurteilten „Wahrscheinlichkeit“ kaum Voraussetzungen, um Personen zu überwachen. Die Polizei muss in einem solchen Fall lediglich um eine generelle Ermächtigung zum Einsatz der im Gesetz aufgezählten Methoden ansuchen. Sie darf in Folge eine beliebige Anzahl der Methoden anwenden. Wie oft und für welche Dauer eine solche sechsmonatige Ermächtigung verlängert werden kann, wird im Gesetzesentwurf nicht näher ausgeführt, was die Gefahr lange andauernder und tiefgreifender Überwachung mit sich bringt.

Welche neuen Überwachungsmethoden soll es geben?

Zusammengefasst wird das neue Gesetz den Behörden ein ganzes Set neuer Möglichkeiten geben:

Beobachtung (Observation) auch unter Einsatz technischer Mittel
Einsatz verdeckter Ermittler_innen
Filmen
Tonaufnahmen
automatisierte KFZ-Zeichen-Erkennung
Auskünfte von Gebietskörperschaften, anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts und den von diesen betriebenen Anstalten
Auskünfte von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste und sonstigen Diensteanbietern
Auskünfte von Beförderungsunternehmen
Handy Verkehrs- und Standortdaten
Vertrauenspersonen

Änderungen gibt es vor allem beim Einsatz von verdeckten Ermittler_innen und Vertrauenspersonen. Verdeckte Ermittler_innen sind zum „Einholen von Auskünften“ berechtigt, ohne weitere Einschränkung auf Zwecke, Maßnahmen oder Voraussetzungen, wie es sonst bei eingriffsintensiven Befugnissen üblich ist. Dabei sind sie nicht zur Offenlegung ihres Auftrage verpflichtet. Auch Personen, die keine Sicherheitsorgane sind, können mit verdeckten Ermittlungen beauftragt werden. Dadurch werden Szenarien denkbar, in denen Beamt_innen unter fremdem Namen Freundschaften schließen und so unter falschen Voraussetzungen an intimen Lebensbereichen teilhaben. Vertrauenspersonen geben gegen Belohnung Information aus Netzwerken an die Behörden weiter. Solche Methoden sind mehr als bedenklich und jedenfalls nicht im Sinne eines demokratischen Rechtsstaats. Sie erinnern eher an Spionagedienste im Stil autoritärer Regime und stiften Misstrauen innerhalb von Netzwerken. Diese Methoden werden als Mittel gegen Terror und mafiöse Strukturen der Öffentlichkeit schmackhaft gemacht. In der Praxis können aufgrund dieses Gesetzes auch linke Aktivist_innen betroffen sein. In Deutschland gibt es schon einige Erfahrungen damit. Erst letztes Jahr wurde bekannt, dass eine verdeckte Ermittlerin sechs Jahre lang die Aktivist_innen der Roten Flora – ein besetztes Haus und Kulturzentrum in Hamburg – ausgeforscht hatte. Die Beamtin hat an verschiedenen Projekten mitgewirkt und ging u.a. Liebesbeziehungen mit Aktivist_innen ein. Bezeichnend sind außerdem die Skandale rund um den Einsatz von V-Leuten im NSU-Umfeld in Deutschland. Das Beispiel zeigt, dass Methoden wie die beschriebenen, neonazistischen Terror nicht verhindert haben – im Gegenteil: Die Spitzel haben ihren Teil zur Aufrechterhaltung der beobachteten Strukturen geleistet.

Auch eine gesetzliche Grundlage für Körperkameras würde mit diesem Gesetz geschaffen. Der Einsatz solcher Kameras ist umstritten. Manche Stimmen meinen, dass sie durch die Aufzeichnung etwaiger Übergriffe vor Polizeigewalt schützen könnten. Das ist aber vor allem dann zweifelhaft, wenn Beamt_innen – wie im Moment vorgesehen – selbst entscheiden dürfen, wann sie die Kameras einschalten. Ob das belastende Material von der Polizei den Weg zu Gericht findet, ist auch nicht gesagt – und nicht immer der Fall. Körperkameras der Polizei stellen jedenfalls auch eine neue Methode zur flächendeckenden Überwachung dar.
Auf umfangreiche Datenbanken, die schon jetzt bestehen, soll mit dem neuen Gesetz noch früher zugegriffen werden können. Nämlich schon zur Bewertung der Wahrscheinlichkeit eines „verfassungsgefährdenden Angriffes“. Diese Art von Datenanalyse kann der Verfassungsschutz also immer durchführen, z.B. um möglicherweise verdächtige Personen herauszufiltern. Das kommt einer präventiven Rasterfahndung gleich.

Wie kann man sich wehren?

Möglichkeiten, sich als betroffene Person gegen die Überwachung durch die Polizei zu wehren, gibt es kaum. Es ist rein faktisch unmöglich, gegen geheime Ermittlungen Beschwerde zu erheben, da man ja nichts von ihnen weiß. Gegen Rechtsverletzungen soll im neuen Staatsschutzgesetz nur der/die Rechtsschutzbeauftragte vorgehen können, der schon jetzt dafür zuständig ist, die Rechtmäßigkeit von geheimen Ermittlungen zu überprüfen und am Innenministerium angesiedelt ist. Allerdings wird dessen/deren kleines Team dadurch mit einer so großen Menge von Fällen konfrontiert, dass diese kaum in angemessener Zeit erledigt werden können. Außerdem ist das Auskunftsrecht beschränkt: Bei besonders heiklen Informationen darf die Polizei die Auskunft verweigern. Diese Beschränkung erscheint absurd, schließlich ist der/die Rechtsschutzbeauftragte eine interne Stelle, die geschaffen wurde, um eben solche sensiblen Daten nicht an die Öffentlichkeit geben zu müssen. Nun soll sogar dieser Stelle das Vertrauen und in weiterer Folge die Kontrolle entzogen werden.

Weder eine unabhängige, richterliche, noch eine effiziente parlamentarische Kontrolle sind in diesem Gesetz vorgesehen. Der Verfassung zufolge sind so schwerwiegende Eingriffe in die Privatsphäre wie diese Überwachungsmethoden nur dann zulässig, wenn sie von einem Gericht angeordnet werden. Dieses Gesetz verstößt damit gegen die Menschenrechte und die österreichische Verfassung. Wenn das Gesetz tatsächlich im Nationalrat beschlossen werden sollte, stellt es eine Bedrohung für politischen Aktivismus dar und öffnet einer weitgehenden Überwachung Tür und Tor.